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ALG II (H4) versus Menschenwürde – eine Kritik

Dienstag, füher Nachmittag in Kiel. Ich schlendere zum WDH (Abkürzung für unser Landeshaus der Partei) und wundere mich über gefüllte und übergelaufene Mülleimer. Ja, ich gehöre zu der Kategorie Raucher, die ihre Kippen nicht wegwerfen, sondern gern in diese runden Dinger stopfen, wenn da Platz ist. In diesem Mülleimer direkt vor dem WDH war kein Platz. Also wandert die Kippe in meine Manteltasche. Es ist kein schöner Anblick. Ein Konglomerat aus Antipasti und Nudelsalat liegt auf der Straße. Naja, der Streik bestimmt, denke ich mir so. Als ich relativ erfolglos wieder auf dem Rückweg zum Auto bin kniet eine junge Frau vor den Überresten, die mich irgendwie an Erbrochenes erinnern und kramt einen Löffel aus ihrem abgewetzten Rucksack. Sie hockt sich in den Schneidersitz und beginnt zu essen.

In mir:

Liebe Leute ihr könnt Euch nicht vorstellen was mir durch den Kopf geht. Direkt neben dem WDH ist ein Restaurant, ich will sie zum Essen einladen, doch erinnere mich ziemlich fix daran, dass das mit den 6 Euro, die ich in der Tasche habe nichts wird. Mitnehmen ist mein zweiter Gedanke, Ansprechen der dritte…. Es geht alles so schnell. Meine Schritte werden langsamer. Ich leide. Kein klarer Gedanke ist zu fassen. Alles Leid der Welt lastet in diesen Sekunden auf meinen Schultern. Eine Träne kriecht aus dem Auge, ich wische sie hektisch weg. Das kann es doch nicht sein, sage ich wütend und traurig zugleich zu mir. “Die Würde des Menschen ist unantastbar”, rappelt es durch meinen Kopf. Was haben wir nur falsch gemacht. Welcher  Teil der Verantwortung trifft mich? Was hätte ich konkret tun sollen? Was habe ich versäumt zu tun? Jedenfalls liegt diese Verantwortung schwer auf meiner Brust. Ein riesiger Backstein, der mir die Luft zum atmen nimmt.

Das was da eben passierte war nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Wenn ich ehrlich bin, dann ist das gesamte System der sozialen Grundsicherung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn mit Würde hat das nichts zu tun. Es geht los, das unabhängig davon ob man so einen Zettelwust ausfüllen kann oder nicht, nur Anspruch auf Geld vom Staat hat, wenn man sich bis auf die Knochen auszieht. Das hat mit Menschenwürde und mit Vertrauen nichts zu tun. Meine Gedanken schweifen zum Privatfernsehen, die gestern wieder mal ihren Zuschauern die H4 Generation wie im Zoo dargeboten haben. Entsetzlich, denke ich mir….

Was passiert denn da überhaut mit uns, wenn wir in diesem System aufwachsen. Wir erleben den Staat als ein Wesen, dass und kontrolliert und morgens mittags und abends zum füttern vorbei schaut. Wie im Zoo gehaltene Tiere. Keine Privatsphäre, kein recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Ich glaube kaum, dass aus solchen Strukturen Staatsbürger erwachsen werden, die dem Staat vertrauen und ihre Arbeitsleistung und Steuern gern geben, geschweige denn, sich an Wahlen beteiligen…. Ich muss würgen.

Zerrissen:

In meinem Kopf pocht es. Ich sehe eine Politik, die in einem Koalitionsvertrag weniger Geld im Volk verteilen, als die Reichsten zehn Menschen in Deutschland in einem Jahr abgreifen. Ich sehe Neiddebatten zwischen Armen und Ärmsten. Hass, Missgunst und Schuldzuweisungen. Menschen werden sortiert, in wichtigere und weniger wichtigere. Was hat das alles mit dem Gedanken des Grundgesetzes “Die Würde des Menschen ist unantastbar” zu tun? Richtig, NIX!

“Die Würde des Menschen hängt von der Schuldenbremse ab”, sagte ein Genosse letztens. Ich denke nicht, dass wir über die Aufhebung der Schuldenbremse nachdenken müssen, aber wir sollten dringend darüber nachdenken, dass wir die Menschen, die in den vergangenen Jahren ihr Kapital vervielfachen konnten angemessen an den Aufgaben des Staates beteiligen müssen. Dann wäre ausreichend Geld im land vorhanden um den Menschen ein Gefühl zu geben, dass der Staat sie beschützt und nicht demontiert.

Ein Ansatz:

Wir brauchen mit Sicherheit keine rückwärts orientierte Debatte über H4 oder AlgII, aber wir brauchen eine Debatte um Grundsicherung und menschenwürdige Versorgung. Ohne Neid. Bis zu einer bestimmten Grenze sogar ohne dieses komische “Fördern und Fordern”, sondern BEDINGUNGSLOS. Denn wenn wir eines gelernt haben, als ich jedenfalls. Vertrauen und Liebe, gehen nur BEDINGUNGSLOS.

Liebe Grüße— und, nein, es geht mir nicht besser jetzt, aber ich bin es mal los geworden.

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9 Antworten auf „ALG II (H4) versus Menschenwürde – eine Kritik“

Ich sah gestern eine Sendung über die sogenannten Benz-Barracken bei Mannheim (RTL II) und frage mich: Warum kann man Menschen wie die dort gezeigten, nicht ausreichend versorgen? Warum muss eine Frau ohne Fuß mit ihrem Mann in einem baufälligen schäbigen Haus leben? Warum gibt es für dieses Paar kein schöneres, komfortableres Wohnen? Warum demütigt mein Land Menschen wie diese?
Warum drängt man eine Familie mit sieben Kindern in Arbeit? Warum lässt man die Eltern nicht das “Familienunternehmen” führen und erkennt dies als Arbeit an?

Manche Menschen kriegen es nicht hin, das Leistungsprinzip nicht, das Vernunftprinzip nicht und manches andere auch nicht.

Warum kann man diesen Menschen nicht wenigstens ein menschenwürdiges Leben finanzieren, ohne darauf zu verweisen, dass sie an ihrer misslichen Lage letztlich “selbst schuld” wären?

Für mich ist das nicht verständlich, für alles ist Geld da, nur für Menschen, die sich nicht alle selbst zu erschaffen vermögen, ist es nicht da, gerade so als missbrauchte man diese Menschen als abschreckende Beispiele für die sogenannten “Leistungsträger”.

Aber: Welcher hart arbeitende Mensch wäre einverstanden, dass ein nicht hart arbeitender Mensch in der gleichen Wohnung leben könnte, wie er selbst?

Das Statusdenken macht die Lage nicht besser.

Lieber Thomas,
ich denke ich habe als ersten Schritt mehrfach die Abschaffung der Sanktionen gefordert. Die Grundsicherung soll die Menschenwürde sicherstellen. Ich denke nicht, dass der Staat diesem Auftrag nachkommt.

Moin Dirk, das ist eine geteilte Antwort. Abschaffung der Sanktionen ist eine Seite, okay. Aber wie stellst Du Dir die Sicherstellung der Menschenwürde in Zahlen vor, denn die aktuellen Sätze reichen ja nicht aus. Und wie sieht die Finanzierung aus. In der Analyse hast Du ja Recht. Aber SPD ist nicht Opposition, die schlicht kritisieren darf. Ihr müsst schon konkrete und finanzierbare Modelle anbieten. Das breite Konzert der Unzufriedenheit hilft den Betroffenen nicht weiter und macht sie nicht satt.

Stimme dem zu. Es gibt viele Menschen die von GruSi leben. Es gibt aber auch Menschen wie mich, die Schuldlos Durch einen Überfall wie mich, von der GruSi Lebt.
Aus meiner Sicht muss das gesamte Soziale System umgebaut werden. Ich möchte eine SPD die Pragmatisch diesen Weg geht.

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